Während es einige Fangruppen gibt, die sich klar antidiskriminierend positionieren und auf der anderen Seite etliche Vereinigungen existieren, die mit ihrer rechten Grundhaltung nicht hinterm Berg halten, bezeichnen sich nicht wenige Fans und Fangruppen explizit als „unpolitisch“. Unproblematisch ist das nicht.
Von Jan Tölva
„Fußball ist Fußball und Politik bleibt Politik!“. Wer sich mit der Fankultur im Fußball befasst, hat dieses Credo garantiert schon einmal gehört. Doch was wie eine Binsenweisheit klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als weit weniger harmlos. Bei diesem Satz handelt es sich um ein Zitat aus einem Lied der rechten Bremer Hooliganband „Kategorie C – Hungrige Wölfe“.
Dies ist kein Zufall. Die Feststellung, Fußball sei unpolitisch und die Forderung, er solle es auch bleiben, kommt häufig, wenn auch nicht immer, von rechts. Beides jedoch ist Unsinn. Weder ist der Fußball per se unpolitisch, noch wäre es wünschenswert, wenn er es wäre. Fußball und Fankultur sind Teil der Gesellschaft und können nicht losgelöst von dieser existieren. Was in der Gesellschaft geschieht, das findet auch in den Stadien seinen Widerhall.
Die Politik der Kurve
Meist liegt der Forderung nach einem unpolitischen Fußball ein stark verengter Politikbegriff zugrunde. So hat letztlich kaum jemand etwas dagegen, wenn die Lokalpolitik einem Verein bei der Renovierung des Stadions hilft. Nicht selten wird sogar genau das gefordert. Genauso wenig wird es meist als politisch begriffen, wenn Ultras fordern, den Einsatz von pyrotechnischen Erzeugnissen in den Stadien gesetzlich zu erlauben. Was könnte politischer sein?
In den Augen vieler gibt es jedoch eine scharfe Trennlinie zwischen Politik, die Fußballfans betrifft, und Politik im Allgemeinen. Während erstere völlig okay ist, wird letztere oft verteufelt. Dass etwa Rassismus, Sexismus und Homophobie Fans genauso betreffen können und dass dies sogar beim Besuch eines Spiels oft der Fall ist, wird gern ausgeblendet. So scheint es in Ordnung zu sein, eine individuelle Kennzeichnungspflicht für PolizeibeamtInnen zu fordern. Hängt jedoch eine Regenbogenfahne in der Kurve, wird in den Augen einiger Fans eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden darf. Hier, so die Ansicht, werde unnötig „Politik ins Stadion gebracht“.
Diese Grenze verläuft von außen betrachtet weniger zwischen den Kategorien „politisch“ und „unpolitisch“, als vielmehr zwischen der jeweils eigenen und den abweichenden Meinungen. Die eigene Meinung sehen viele als allein richtig an. Nicht selten wird sie mit einem sogenannten „gesunden Menschenverstand“ untermauert oder aber mit dem vermeintlichen Argument, es sei schon immer so gewesen, dass zum Beispiel Schiedsrichter als „Schwuchtel“ beschimpft werden können. In der Regel Behauptungen ohne jeden Wahrheitsgehalt.
Streitpunkt Antidiskriminierung
Nicht ohne Zufall entzünden sich Streitigkeiten um Politik im Fußball an diskriminierendem Verhalten beziehungsweise an der kritischen Intervention gegen selbiges. Der Anlass kann ein nichtiger sein: So hat es in Fankurven schon handgreifliche Auseinandersetzungen gegeben, weil jemand ein T-Shirt mit einem Spruch gegen Rassismus getragen hat. Dadurch würde Politik in die Kurve gebracht, heißt es. Dabei ist Antirassismus schon lange da.
Bereits seit vielen Jahren initiieren Fans und Fußballverbände Kampagnen gegen Rassismus. Dass keine Person aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden darf, steht bereits im bundesdeutschen Grundgesetz und in der UN-Menschenrechtserklärung. Beide haben auch in der Fankurve ihre Gültigkeit. Der Grundsatz, dass allen Menschen die gleichen Rechte zustehen, gehört zu den Grundlagen einer jeden demokratisch-pluralistischen Gesellschaft. Zu fordern, dass auch entsprechend gehandelt wird, sollte demnach eigentlich selbstverständlich sein.
Wer sich jedoch dagegen sperrt, wer nicht will, dass derlei Forderungen um die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten öffentlich geäußert werden, der- oder diejenige handelt selbst politisch, da das Erzwingen von Schweigen zu politischen Themen an sich eine politische Handlung ist. Das Stadion ist kein rechtsfreier Raum; folglich kann es auch kein politikfreier Raum sein.
Woher der Wind weht
Es ist kein Zufall, dass - wie eingangs erwähnt - sich gerade eine Band wie „Kategorie C“, die enge Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis pflegt, für einen „unpolitischen“ Fußball ausspricht. Viele Argumente, die diesbezüglich vorgebracht werden, erinnern in Inhalt und Wortlaut deutlich an das, was auch auf den rassistischen Aufmärschen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) oder auf den homophoben Kundgebungen unter dem Motto „Demo für alle“ zu hören und zu lesen ist. Hier wie dort wird eine herbeifantasierte gesellschaftliche Homogenität beschworen, die durch angeblich von außen kommende Störenfriede – seien es nun Schwule, Muslime, Geflüchtete oder FeministInnen – zerstört werde. Ein mythisches, idealisiertes Gestern wird als Projektionsfläche gegen das Heute heraufbeschworen und gegen gesellschaftliche Realitäten in Stellung gebracht.
Im Grunde geht es darum, dass eine etablierte Gruppe nicht bereit und gewillt ist, ihre auf Gewalt- und Unterdrückungsverhältnissen fußenden Privilegien aufzugeben beziehungsweise sie mit anderen zu teilen. Für den Fußball bedeutet das, dass alteingesessene Hooligangruppierungen keinen Platz machen wollen für die nächste Generation junger Ultras, deren bunte und kreative Art Fußball zu leben, für viele weitaus attraktiver ist, als das ewig gleiche und stumpfe Raufen und Saufen der Hooligans. Es zeigt sich aber auch in der Weigerung einzelner oder ganzer Gruppen, auf diskriminierende Schimpfwörter zu verzichten. Die Freiheit, diskriminieren zu können, wollen viele sich nicht nehmen lassen. Dass sie damit die Freiheit anderer einschränken, ist ihnen nicht einmal bewusst, egal oder beabsichtigt.
Fußball ist ohne Politik nicht zu denken
Sicher gibt es auch Menschen, die sich selbst als unpolitisch verstehen und dennoch nicht in das beschriebene Schema fallen. Sofern sie aber derartiges Verhalten bei anderen dulden, tragen sie dazu bei, Teile der Gesellschaft – in diesem Falle die Fankurve – zu gefühlten oder tatsächlichen „No-Go-Areas“ für Menschen zu machen, die nicht zur deutschen, weißen, nicht behinderten, heterosexuellen und männlichen Minderheit gehören (wollen). Eine Minderheit, die noch immer glaubt, der Fußball gehöre ihr allein.
Fußball ohne Politik ist nicht wünschenswert, er ist auch schlicht undenkbar, weil alles, was die Gesellschaft betrifft, auch in irgendeiner Form politisch ist und die Gesellschaft nicht an den Stadiontoren endet. Das Märchen vom unpolitischen Fußball hingegen nutzt vor allem den Neonazis und anderen Rechten, denen es nur allzu oft als Deckmantel für ihre eigenen menschenfeindlichen Ansichten dient.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre von Fussball-gegen-nazis.de "Fairplay statt Hass - Was wir gegen Menschenverachtung und rechtsextreme Ideologien im Fußball machen können", die im September 2015 erscheint und wurde wurde ursprünglich auf Fussball gegen Nazis veröffentlicht. Watch out!
Jan Tölva ist studierter Soziologe und arbeitet derzeit als freier Journalist und Autor in Berlin. Er arbeitet vor allem zu Themen rund um Fußball und Fankultur und hält regelmäßig Vorträge zu diesen Themen. Termine, Veröffentlichungen und weitere Informationen gibt es auf jntlv.wordpress.com oder facebook.com/jntlvjntlv.[:de][intro_paragraph]Während es einige Fangruppen gibt, die sich klar antidiskriminierend positionieren und auf der anderen Seite etliche Vereinigungen existieren, die mit ihrer rechten Grundhaltung nicht hinterm Berg halten, bezeichnen sich nicht wenige Fans und Fangruppen explizit als „unpolitisch“. Unproblematisch ist das nicht.[/intro_paragraph]
Von Jan Tölva
„Fußball ist Fußball und Politik bleibt Politik!“. Wer sich mit der Fankultur im Fußball befasst, hat dieses Credo garantiert schon einmal gehört. Doch was wie eine Binsenweisheit klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als weit weniger harmlos. Bei diesem Satz handelt es sich um ein Zitat aus einem Lied der rechten Bremer Hooliganband „Kategorie C – Hungrige Wölfe“.
Dies ist kein Zufall. Die Feststellung, Fußball sei unpolitisch und die Forderung, er solle es auch bleiben, kommt häufig, wenn auch nicht immer, von rechts. Beides jedoch ist Unsinn. Weder ist der Fußball per se unpolitisch, noch wäre es wünschenswert, wenn er es wäre. Fußball und Fankultur sind Teil der Gesellschaft und können nicht losgelöst von dieser existieren. Was in der Gesellschaft geschieht, das findet auch in den Stadien seinen Widerhall.
Die Politik der Kurve
Meist liegt der Forderung nach einem unpolitischen Fußball ein stark verengter Politikbegriff zugrunde. So hat letztlich kaum jemand etwas dagegen, wenn die Lokalpolitik einem Verein bei der Renovierung des Stadions hilft. Nicht selten wird sogar genau das gefordert. Genauso wenig wird es meist als politisch begriffen, wenn Ultras fordern, den Einsatz von pyrotechnischen Erzeugnissen in den Stadien gesetzlich zu erlauben. Was könnte politischer sein?
In den Augen vieler gibt es jedoch eine scharfe Trennlinie zwischen Politik, die Fußballfans betrifft, und Politik im Allgemeinen. Während erstere völlig okay ist, wird letztere oft verteufelt. Dass etwa Rassismus, Sexismus und Homophobie Fans genauso betreffen können und dass dies sogar beim Besuch eines Spiels oft der Fall ist, wird gern ausgeblendet. So scheint es in Ordnung zu sein, eine individuelle Kennzeichnungspflicht für PolizeibeamtInnen zu fordern. Hängt jedoch eine Regenbogenfahne in der Kurve, wird in den Augen einiger Fans eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden darf. Hier, so die Ansicht, werde unnötig „Politik ins Stadion gebracht“.
Diese Grenze verläuft von außen betrachtet weniger zwischen den Kategorien „politisch“ und „unpolitisch“, als vielmehr zwischen der jeweils eigenen und den abweichenden Meinungen. Die eigene Meinung sehen viele als allein richtig an. Nicht selten wird sie mit einem sogenannten „gesunden Menschenverstand“ untermauert oder aber mit dem vermeintlichen Argument, es sei schon immer so gewesen, dass zum Beispiel Schiedsrichter als „Schwuchtel“ beschimpft werden können. In der Regel Behauptungen ohne jeden Wahrheitsgehalt.
Streitpunkt Antidiskriminierung
Nicht ohne Zufall entzünden sich Streitigkeiten um Politik im Fußball an diskriminierendem Verhalten beziehungsweise an der kritischen Intervention gegen selbiges. Der Anlass kann ein nichtiger sein: So hat es in Fankurven schon handgreifliche Auseinandersetzungen gegeben, weil jemand ein T-Shirt mit einem Spruch gegen Rassismus getragen hat. Dadurch würde Politik in die Kurve gebracht, heißt es. Dabei ist Antirassismus schon lange da.
Bereits seit vielen Jahren initiieren Fans und Fußballverbände Kampagnen gegen Rassismus. Dass keine Person aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden darf, steht bereits im bundesdeutschen Grundgesetz und in der UN-Menschenrechtserklärung. Beide haben auch in der Fankurve ihre Gültigkeit. Der Grundsatz, dass allen Menschen die gleichen Rechte zustehen, gehört zu den Grundlagen einer jeden demokratisch-pluralistischen Gesellschaft. Zu fordern, dass auch entsprechend gehandelt wird, sollte demnach eigentlich selbstverständlich sein.
Wer sich jedoch dagegen sperrt, wer nicht will, dass derlei Forderungen um die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten öffentlich geäußert werden, der- oder diejenige handelt selbst politisch, da das Erzwingen von Schweigen zu politischen Themen an sich eine politische Handlung ist. Das Stadion ist kein rechtsfreier Raum; folglich kann es auch kein politikfreier Raum sein.
Woher der Wind weht
Es ist kein Zufall, dass - wie eingangs erwähnt - sich gerade eine Band wie „Kategorie C“, die enge Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis pflegt, für einen „unpolitischen“ Fußball ausspricht. Viele Argumente, die diesbezüglich vorgebracht werden, erinnern in Inhalt und Wortlaut deutlich an das, was auch auf den rassistischen Aufmärschen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) oder auf den homophoben Kundgebungen unter dem Motto „Demo für alle“ zu hören und zu lesen ist. Hier wie dort wird eine herbeifantasierte gesellschaftliche Homogenität beschworen, die durch angeblich von außen kommende Störenfriede – seien es nun Schwule, Muslime, Geflüchtete oder FeministInnen – zerstört werde. Ein mythisches, idealisiertes Gestern wird als Projektionsfläche gegen das Heute heraufbeschworen und gegen gesellschaftliche Realitäten in Stellung gebracht.
Im Grunde geht es darum, dass eine etablierte Gruppe nicht bereit und gewillt ist, ihre auf Gewalt- und Unterdrückungsverhältnissen fußenden Privilegien aufzugeben beziehungsweise sie mit anderen zu teilen. Für den Fußball bedeutet das, dass alteingesessene Hooligangruppierungen keinen Platz machen wollen für die nächste Generation junger Ultras, deren bunte und kreative Art Fußball zu leben, für viele weitaus attraktiver ist, als das ewig gleiche und stumpfe Raufen und Saufen der Hooligans. Es zeigt sich aber auch in der Weigerung einzelner oder ganzer Gruppen, auf diskriminierende Schimpfwörter zu verzichten. Die Freiheit, diskriminieren zu können, wollen viele sich nicht nehmen lassen. Dass sie damit die Freiheit anderer einschränken, ist ihnen nicht einmal bewusst, egal oder beabsichtigt.
Fußball ist ohne Politik nicht zu denken
Sicher gibt es auch Menschen, die sich selbst als unpolitisch verstehen und dennoch nicht in das beschriebene Schema fallen. Sofern sie aber derartiges Verhalten bei anderen dulden, tragen sie dazu bei, Teile der Gesellschaft – in diesem Falle die Fankurve – zu gefühlten oder tatsächlichen „No-Go-Areas“ für Menschen zu machen, die nicht zur deutschen, weißen, nicht behinderten, heterosexuellen und männlichen Minderheit gehören (wollen). Eine Minderheit, die noch immer glaubt, der Fußball gehöre ihr allein.
Fußball ohne Politik ist nicht wünschenswert, er ist auch schlicht undenkbar, weil alles, was die Gesellschaft betrifft, auch in irgendeiner Form politisch ist und die Gesellschaft nicht an den Stadiontoren endet. Das Märchen vom unpolitischen Fußball hingegen nutzt vor allem den Neonazis und anderen Rechten, denen es nur allzu oft als Deckmantel für ihre eigenen menschenfeindlichen Ansichten dient.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre von Fussball-gegen-nazis.de "Fairplay statt Hass - Was wir gegen Menschenverachtung und rechtsextreme Ideologien im Fußball machen können", die im September 2015 erscheint und wurde wurde ursprünglich auf Fussball gegen Nazis veröffentlicht. Watch out!
Jan Tölva ist studierter Soziologe und arbeitet derzeit als freier Journalist und Autor in Berlin. Er arbeitet vor allem zu Themen rund um Fußball und Fankultur und hält regelmäßig Vorträge zu diesen Themen. Termine, Veröffentlichungen und weitere Informationen gibt es auf jntlv.wordpress.com oder facebook.com/jntlvjntlv.